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Schwerpunkt - Schweine


1.9. Die Erhaltung der Wollschweine - ein internationales Bemühen

Hans-Peter Grünenfelder, Waltraud Kugler,
SAVE-Projekt Office, St. Gallen


Das Wollschwein, auch unter seinem ungarischen Namen "Mangalica" (dt.: Mangalitza) bekannt, trat vor über 150 Jahren seinen Siegeszug durch halb Europa an. Zeitweilig zählte es manchenorts zu den meistgehaltenen Schweinen. Menge und Qualität seines Speckes suchten ihresgleichen. Seit aber Speck und Schweinschmalz nichts mehr gelten, hat diese alte Leistungsrasse ausgedient, verdrängt von modernen Schinkenlieferanten. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg setzte der Niedergang der Wollschweinzucht ein. Neben der "falschen" Produktionsrichtung (Speck statt Schinken) hatten Wollschweine den zusätzlichen Nachteil, sich nicht industriell halten zu lassen. Intensive Haltungsformen wirken sich negativ auf die Fruchtbarkeit aus.

Rotes Mangalitza
Rotes Mangalitza (Foto: Antje Feldmann)

Die Herkunft der Mangalitzas ist umstritten. Allgemein aber wird davon ausgegangen, daß der Ursprung in den Kronländern der alten Donau-Rotes- Monarchie, jedoch nicht in den Hauptländern Österreich-Ungarns selbst lag.

Rassebeschreibung

Es sind drei Mangalitza-Rassen bekannt: blond, rot und schwalbenbäuchig (mit heller Unterseite). Das blonde Mangalitza wird als ur-ungarisches Fettschwein bezeichnet. Rote Mangalitzas wurden aus dem roten Szalonta-Schwein gezüchtet, das aus Ostungarn-Siebenbürgen stammt, dem heutigen Rumänien. Schwalbenbäuchige Mangalitzas sind aus der Kreuzung des blonden Mangalitzas mit dem serbischen Szerémség (Syrmien)-Schwein entstanden. Die einstmals vorhandenen schwarzen Mangalitzas sind ausgestorben.

Klauen, Rüsselscheibe, Lider und After sind meist schwarz. Die Ohren sind mittelgroß und nach vorn hängend. Der Rücken ist mittellang und mäßig gewölbt, der Rumpf kurz und tief. Mangalitzas sind robust, widerstandsfähig gegen Krankheiten und Streß und können sich dank der kräftigen Beine und starken Klauen in jedem Gelände sicher bewegen. Auch im Winter mögen die Tiere Auslauf im Freien und trotzen dank der dichten Behaarung der Kälte. Besonders im Sommer ist eine ausreichende Suhlmöglichkeit nötig.

Schwalbenbäuchiges Mangalitza
Schwalbenbäuchiges Mangalitza (Foto: Antje Feldmann)

Erhaltungsmaßnahmen in Ungarn

Schon Ende der sechziger Jahre stellte Ungarn, eines der Ursprungsländer dieser Rasse, ein Programm zur Erhaltung der Genressourcen des Landes auf. Dieses verpflichtete Staatsgüter und einzelne landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG), gewisse Rassen zu züchten. Zu Beginn der siebziger Jahre waren alle Mangalitzas in Ungarn nahezu verschwunden. Das einfarbige schwarze Mangalitza ist ausgestorben. Von den anderen noch vorhandenen Typen wurde eine gezielte Erhaltungszucht aufgebaut, nachdem von den Beständen genetische Distanzuntersuchungen vorgenommen und fremde Genotypen ausgesondert werden konnten. Mit den politischen und wirtschaftlichen Umstrukturierungen in Osteuropa gerieten auch in Ungarn die staatlichen Vorgaben für die Landwirtschaft ins Wanken. Ab 1990 gab es einen Einbruch bei den Erhaltungsbemühungen, da staatliche Gelder gestrichen wurden. Eine LPG nach der anderen stieg aus der Wollschweinzucht aus. Mit staatlicher Unterstützung werden heute dezentrale Genreserveherden gehalten. Hinsichtlich der Nutzung zeichnen sich derzeit positive Tendenzen ab: eine kommerzielle Firma ist an Mangalitza-Schinken als hochwertiger Delikatesse interessiert.

Stand der Zucht:

blond:

230 Sauen in 5 Betrieben

(reinrassige Tiere)

schwalbenbäuchig:

60 Sauen in 5 Betrieben

.

rot:

60 Sauen in 4 Betrieben

Zumindest kleine Bestände in den südosteuropäischen Ländern sind noch zu erwarten. Eine weitere Suche und die Sicherung von Restbeständen muß unbedingt an die Hand genommen werden. Besonders im Ursprungsgebiet der Mangalitzas, im Gebiet Srêm (Srm) vor den Toren Belgrads, ist nach "lasasta mangulica", wie die Wollschweine hier genannt werden, zu suchen, und vorhandene Bestände sind zu sichern. In der Wojwodina und in Slawonien können außerdem Bestände vermutet werden, ebenso in Rumänien und im Kaukasus.

Erhaltungsmaßnahmen in der Schweiz

Die Schweizer Organisation Pro Specie Rara (PSR) übernahm 1986 die Zucht des schwalbenbäuchigen Mangalitza von vier weiblichen und zwei männlichen Zuchtlinien in der Schweiz. Blutauffrischungen aus Deutschland und Ungarn verhinderten eine zu starke Inzucht. 1994 wurde die "Schweizerische Vereinigung für die Wollschweinzucht gegründet", die Zucht und Haltung der Wollschweine in Zusammenarbeit mit PSR fördert. Die Zucht ist gut organisiert. Die Zuchtgruppen umfassen jeweils einen Eber und ein bis drei Sauen. Alle Tiere sind zuchtbuchmäßig genauestens erfaßt (incl. Exterieurbeurteilung). Es werden 13 Sauen- und sechs Eberlinien des schwalbenbäuchigen Schlages unterschieden, die auf folgende Herkünfte zurückgehen: die 1986 übernommene Ursprungspopulation, den Import 1987/88 von vier Ebern aus drei Linien der norddeutschen Zucht sowie den Blutauffrischungsimport 1990/91 aus dem damals noch ca. 200 Zuchttiere umfassenden Genreservebestand Ungarns.

Ein Erfahrungsaustausch mit Züchtern aus anderen Ländern ist sehr erwünscht. Bei der PSR ist ein Leitfaden erhältlich, der potentiellen Halter/innen eine genaue Vorstellung vermitteln soll, mit welchem Aufwand bei der Wollschweinhaltung zu rechnen ist. Der Aufwand für die Haltung wird oft unter- und die Rentabilität überschätzt. Dies führte teilweise zur Aufgabe der Haltung und einer schwierigen Suche nach neuen Haltern.

Stand der Zucht: 106 Züchter 105 Sauen aus 13 Linien; 70 Jungsauen
(schwalbenbäuchige)   40 Eber aus 7 Linien; 25 Jungeber

Erhaltungsmaßnahmen in Österreich

In Österreich ist es Franz Punz gelungen, von fast allen ungarischen Zuchtlinien der schwalbenbäuchigen Mangalitzas einige Tiere nach Österreich zu bringen, um alle existierenden Blutlinien zu erhalten. Heute wird mit acht Hauptzuchtlinien gezüchtet, entsprechend der verschiedenen Herkünfte. In Österreich befinden sich die Mangalitzas in einer durch den Verein zur Erhaltung gefährdeter Haustierrassen (VEGH) initiierten dezentralen Erhaltungszucht. Die Verbreitung der Halter über ganz Österreich ist sicherlich sehr zu begrüßen, allerdings ist dadurch eine konsequente Betreuung der Halter durch die Projektleiter in den verschiedenen Regionen sowie die Auslese der Tiere für das Herdbuch sehr erschwert. Es sind die notwendigen Markierungen vorzunehmen, um die Zucht in Österreich koordinieren zu können. Derzeit ist nicht bekannt, ob möglicherweise Blutauffrischungen notwendig sind oder ähnliche Erhaltungsmaßnahmen, die eine internationale Koordination erfordern.

Stand der Zucht:
(schwalbenbäuchige)

120 Sauen und ca. 40-50 Eber

Erhaltungsmaßnahmen in Deutschland

In Deutschland werden drei Schläge des Wollschweins gezüchtet: rot, blond und schwalbenbäuchig, wovon eine auf den Blutaustausch mit der Population der Schweiz zurückgeht. In Norddeutschland ist in den letzten Jahren die Zucht durch Eggo Andreesen in Ostfriesland und den Tierpark Warder in Schleswig-Holstein aufgebaut worden. Der eigentliche Zuchtbestand liegt insgesamt etwa bei 160 Tieren, die zumeist bei Kleinzüchtern mit einem bis fünf Tieren gehalten werden. Leider sind nur die wenigsten herdbuchmäßig erfaßt. Die Zuchtsituation dieser Schläge ist sehr unterschiedlich. Derzeit ist die GEH bemüht, unabhängige Zuchtbücher für die Schläge zu erstellen. Häufig gibt es Halter, die sich nicht aktiv an der Zucht beteiligen und nur Einzeltiere zu Schauzwecken halten. Gerade in Tierparks werden Wollschweine gerne als ursprünglichste Rasse gezeigt. Eine Veröffentlichung zum Thema Wollschweine in einem Verbrauchermagazin zog eine große Nachfrage nach diesen Schweinen nach sich. Die GEH hofft, daß sich durch diese Nachfrage mehr Züchter für eine langfristige Wollschweinzucht engagieren. 1997 ist eine Interessengemeinschaft zur Erhaltung der Wollschweine gegründet worden.

Stand der Zucht:

. . .

blond:

14 Halter,

28 Sauen,

16 Eber

schwalbenbäuchig:

15 Halter,

45 Sauen,

17 Eber

rot:

17 Halter,

38 Sauen,

13 Eber

Die Chance der Wollschweine

Wollschweine sind Nutztiere. Wenn sie langfristig überleben wollen, müssen sie irgendeinen Nutzen bringen. Auf dem normalen Schweinefleischmarkt sind sie aber nicht konkurrenzfähig. Ihre Chancen liegen bei der extensiven Weidehaltung. Dabei kommen ihnen ihre Robustheit und ihre gute Klimaverträglichkeit zustatten. Im Gegensatz zu modernen Intensivrassen erleiden sie mit ihren kräftigen Beinen auch auf aufgeweichten Böden keine Gliederdeformationen. Beliebt geworden sind Ausmasten auf Alpen im Sommer und die Kastanienmast auf der Alpensüdseite, die nicht nur qualitativ hochwertiges Fleisch erbringt, sondern gleichzeitig die vorhandenen Kastanienwälder pflegt. Wollschweine werden aber auch zur Bestellung von Äckern und zur Urbarmachung aus der Kultur genommener Böden genutzt. So setzen einige Halter ihre Tiere zum Umbruch der Wiesen für Kartoffeln ein, ja leihen sie sogar ihren Nachbarn zu diesem Zwecke aus. Besonders bewährt haben sich die Wollschweine auch als Reservatspfleger. So kommt jeweils bei Wintereinbruch eine Schar Wollschweine auf eine beim Kreuzlinger Hafen im Bodensee gelegene Kiesinsel, die als Brutstätte für Watvögel dient. Diese Insel wird statt von Baggern von wetter- und winterfesten Wollschweinen vollständig umgegraben. Diese fressen alles, was verdaubar ist (sie lieben Wurzeln), und halten dadurch die Insel von Bewuchs frei. Dieses erfolgreiche Experiment, das international für Aufsehen sorgte, wurde 1993 mit dem Schweizer Preis der Conservation Foundation ausgezeichnet.

Das schmackhafte, marmorierte Fleisch der Wollschweine eignet sich sehr gut zum Grillen. Insbesondere Spanferkel werden im Fleisch kaum je zu trocken. Wegen der problemlosen Haltung sieht man Wollschweine immer mehr auch als sogenannte "Quartierschweine", die auf ihre Weise die organischen Abfälle eines Stadt- oder Dorfquartiers veredeln und gleichzeitig das Verständnis und die Beziehung zum Nahrungsmittel Fleisch bei allen Beteiligten fördern. Neben dem pädagogischen Wert und der Attraktion zu Lebzeiten geben die Quartierschweine nach Mastabschluß jeweils Anlaß zu einem großen gemeinsamen Fest.

Die Zukunft der Wollschweine

In Deutschland, der Schweiz, Österreich und Ungarn erfreuen sich die Tiere zunehmender Beliebtheit. Es erschließen sich Absatzmärkte sowohl im Naturschutz als auch im Verkauf von hochwertigen biologischen Fleischwaren. Die Wollschweine haben durchaus eine Überlebenschance, wenn die Zucht gesichert und die Produktvermarktung gewährleistet werden kann. In den Hauptzuchtländern müssen die Nukleuszuchten noch gefestigt und über die Landesgrenzen hinweg koordiniert werden. Bemühungen dazu sind durch die europäische Dachorganisation SAVE (Saveguard for Agricultural Varieties in Europe) in Angriff genommen worden. Zur Koordination sind vorab die Herdbücher und die Zuchtlinien aufeinander abzustimmen und aktuell zu halten. Ein Treffen der Wollschwein-Projektleiter aus den verschiedenen Ländern soll einen Erfahrungsaustausch zu den verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten und Zuchtrichtungen vertiefen und Lösungen für mögliche vorhandene Inzuchtprobleme aufzeigen. Zur Festigung der Zucht gehört auch die "Professionalisierung" der Züchter. Viel Wissen um die freie, extensive Weidehaltung von Schweinen ging in den letzten Jahrzehnten verloren und muß mühsam neu gewonnen werden. Eine Arbeitsgruppe von Schweizer Wollschweinzüchtern hat die nun gemachten Erfahrungen in Züchterbriefen zusammengestellt. In den einzelnen Ländern sollen Züchtervereinigungen gegründet werden, die sich auch für einen kontinuierlichen Absatz der Produkte einsetzen. Mit den bisherigen Anstrengungen wurde erreicht, daß die Wollschweine überlebten und sich einer großen Beliebtheit bei der Bevölkerung erfreuen. Noch steht aber viel Arbeit bevor (die erst noch finanziell abgesichert werden muß), wenn diese Rasse längerfristig vor dem Aussterben bewahrt werden soll.

Literatur:

GUGIC, GORAN: Schweinehut und Waldmast in Lonjsko Polje (Kroatien). Diplomarbeit an der Forstwissenschaftl. Fak. München, 1992.

PSR: Wollschweinhaltung: Ein Leitfaden für die Praxis. Pro Specie Rara, St. Gallen, Schweiz (auch erhältlich über GEH, Witzenhausen).


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